Freitag, 20. Februar 2009

Liebesgeschichten, 1. Kapitel

Er saß mal wieder ganz ermüdet und matt vor dem Fernseher in seiner kleinen Wohnung und lauschte dem Rauschen, das aus dem Gerät drang. Schneeflocken stoben über den Bildschirm un er konnte sich nicht recht ausmalen, warum zur Hölle er das eigentlich tat. Das, mit dem rumsitzen. Dabei war er recht ambitioniert, verfügte über Talente in Kunst, Musik und Literatur, die er regelmäßig zum Besten gab und war, trotz seiner eher sehr durchschnittlicheren Figur, sportlich.
Es passte ihm überhaupt nicht in den Kram. Das, mit dem rumsitzen. Und auch alles andere. Bisweilen gab er sich damit zufrieden, seinem sonst so beanspruchten Gehirn eine Auszeit zu gönnen. Doch war diese außerordentlich unangenehm, nicht zuletzt deswegen, weil er einfach nicht der Typ für Hirnpausen und ungelöste Probleme war, auch, wenn er für immer von ihnen umgeben sein würde. Dies sah er auch ein. Trotzdem ließ es ihm keine Ruhe.
Schlagartig riss es ihn von seiner Couch, auf der er gelegentlich zu schlafen pflegte. Die Kissen und Decken fielen um und verrutschten unter dem Impuls des Besitzers. So stand er nun da, vollgeladen mit Spannung, die zu entweichen suchte und innerlich eingesperrt, wie die Schneeflocken auf dem Bildschirm, die von den Rändern abzuprallen schienen, nur um noch größere Verwirrung zu stiften. Sein Körper schien zu bersten, jede Pore einem enormen Druck standhalten zu müssen.
Doch stand er da, als ob nichts wäre. Als ob ihm alles völlig gleich wäre. Gleich, wie der Mensch, der auf der Autobahn ums Leben kam und gleich wie die Sonne, die ihm jeden Tag zu neuer Kraft verhalf. Gleich, wie das Stück Fleisch, das er in vermutlich einer Stunde essen würde und gleich wie das Kind in Afrika, das entweder verhungern oder von sonst irgendeinem Scheiss sterben würde.
Doch wusste er, dass er nicht dastand, weil ihm alles gleich war. Er stand da, weil er wusste, dass er vor Hilflosigkeit gelähmt war. Keinen gab es, der ihn aus dieser Situation befreien würde, keinen, der nur ansatzweise fähig war ihm zu helfen. In diesem Moment war es wie ein Ringen auf Leben und Tod. Wie wenn man die Wasseroberfläche eines Sees mit der Hand berühren kann, der Kehlkopf indes aber schon verkrampft und eine Panik auslöst, die zu dem tödlichen Einatmen des Wassers führt.
An dieser Schwelle schien er zu stehen. Da, in seiner kleinen Wohnung. Vor dem rauschenden Fernseher.
Schließlich besiegte ihn die Panik. Er nahm den tödlichen Atemzug Wasser. Alle Energie, die ihn bis eben zu sprengen verstand, entlud sich in dem verzweifelten Versuch Luft zu holen. Er nahm einen sehr tiefen Atemzug und spürte wie ihm zugleich das Wasser, das in die Lungen stach, sie verbrannte und ihm die erhoffte Luft wegblieb.
Er sackte zusammen wie ein schlecht gebauter Kartenturm. Auf seine Couch. Vor dem rauschenden Fernseher. In seiner kleinen Wohnung. Die ganze Welt hat ihn in diesem Moment im Stich gelassen. Er ließ das Wasser in seinen Lungen anderweitig ausfließen.
Er weinte.
copyright by Andreas Gaida

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